Geld macht arm – die Mechanik der Umverteilung
Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher. Seit Jahrzehnten wird die wachsende Kluft erfolglos bekämpft. Das Scheitern hat einen Grund: die versteckte Umverteilung durch unser Geldsystem.
Bei jedem Hinweis auf die wachsende Schere zwischen arm und reich beteuern Politiker und Experten: Es muss etwas getan werden! Es ist fast wie mit den Schulden, die auch bekämpft werden, seit ich Zeitung lesen kann, also seit mehr als fünfzig Jahren. Und die doch ständig wachsen.
Beide, Schulden und Schere, scheinen ausserhalb unserer Willenskraft zu liegen. Es ist, als ob versteckte Kräfte am Werk wären, die entweder unseren Willen brechen oder mit viel grösserer Wucht in die Gegenrichtung ziehen – ein System gewissermassen, das ausserhalb unserer Kontrolle und sogar ohne unser Wissen wirkt. Wie sonst ist zu erklären, dass etwas geschieht, das niemand will und viele explizit bekämpfen?
Wachsende Schuldenberge und steigende Umverteilung haben einen gemeinsamen Nenner: die Art und Weise wie Geld geschöpft wird. Und weil sogar Top-Banker wie Sergio Ermotti die Geldschöpfung nicht verstehen – wenigstens war es anfangs 2017 anlässlich einer TV-Diskussion auf Teleticino noch so –, muss sie hier im Schnelldurchgang erklärt werden:
«Die Banken schöpfen Geld, indem sie Kredite verleihen», schreibt die Nationalbank in ihrer Broschüre «Die Nationalbank und das liebe Geld». Sie verleihen also nicht das Geld der Sparer, wie die Bankiervereinigung selbst ihren Mitarbeitern in einem Infoblatt immer noch weismachen will, sondern schöpfen es gewissermassen aus dem Nichts. Sie brauchen dazu eine Mindestreserve von 2,5 Prozent sowie etwas Eigenkapital, zusammen rund zehn Prozent.
Mit diesem Quasi-Nichts als Sicherheit schreiben sie dem Kreditnehmer den gewünschten Betrag ins Konto. Damit entsteht ein gleich bleibendes Guthaben, das in Zirkulation geht und eine mit der Zeit wachsende Schuld. Der Kreditnehmer muss ja Zins bezahlen – notabene für etwas , das die Bank nie hatte.
(Wer es genau wissen will: In der Bankbilanz wird der Geldschöpfungakt auf der Aktivseite als Forderung gegenüber dem Kreditnehmer eingetragen und auf der Passivseite als Verbindlichkeit der Bank gegenüber dem Kreditnehmer. Sie muss ihm ja auf Wunsch gesetzliches Zahlungsmittel auszahlen.)
Der Vorgang liefert zwei aufschlussreiche Erkenntnisse und ein grosses Rätsel:
• Alles Geld besteht aus Schulden.
• Es hat immer zu wenig Geld, um die Schulden zu bezahlen.
• Doch was ist Geld, das aus Schulden besteht, die nicht bezahlt werden können? Dafür haben wir nicht einmal ein Wort.
Das Privileg, dass ihre ewigen Schulden als Geld akzeptiert werden, für die sogar noch Zins bezahlt werden muss, geniessen nur die Banken. Im Gegensatz zu anderen hoheitlichen Leistungen, die von Privaten erbracht werden – Vermessung, Emissionskontrollen etc. – hat das Geldschöpfungsprivileg der Banken keine rechtliche Grundlage.
Diese private Kreditgeldschöpfung erzeugt versteckte Umverteilungseffekte verschiedenster Art. Der stärkste ist gleichzeitig der am wenigsten sichtbare.
Weil alles Geld Kredit ist, auf den Zins bezahlt werden muss, entrichten wir ihn bei jedem Kauf und jeder Transaktion, ohne es zu merken.
Der Zins ist gewissermassen die Steuer dafür, dass es das private Geld der Banken überhaupt gibt.
Wie hoch liegt der Zinsanteil an unseren Kosten? Der deutsche Geldreformer Helmut Creutz (1923-2017) kommt in seinem 1993 erstmals erschienenen Buch «Das Geld-Syndrom» auf durchschnittliche Werte von 30 bis 40 Prozent, bei der Müllabfuhr sind es 18, beim Trinkwasser 38 und bei den Mieten im sozialen Wohnungsbau sind es 77 Prozent.
Der Wert scheint hoch, und er ist auch nicht unumstritten. Um die Validität von Creutz’ Berechnungen zu beurteilen, braucht man nicht in die komplizierten betriebs- und volkswirtschaftlichen Kalkulationen und Statistiken abzutauchen. Ein Blick auf die Veränderung der Kapitaleinkommen genügt. Ihr Anteil am gesamten Volkseinkommen liegt gemäss Thomas Piketty, Autor von «Das Kapital im 21. Jahrhundert», langfristig bei 25 bis 32 Prozent.
Da selbst die EZB zum Schluss gekommen ist, dass die sehr grossen Vermögen und Einkommen systematisch klein gerechnet werden, dürfen die Kapitaleinkommen etwas höher gelegt werden.
In der Schweiz liegt das Verhältnis ähnlich: 2016 betrug die gesamte Lohnsumme der Schweiz gemäss AHV-Statistik rund 300 Mrd. Franken. Die Kapitaleinkommen lagen bei 123,5 Mrd. (Zahlungsbilanz und Auslandvermögen der Schweiz 2016, SNB), d.h. bei gut 40 Prozent der Löhne. Ein Teil dieser Kapitaleinkommen wird allerdings im Ausland realisiert.
Ein Drittel unseres Aufwands für die Lebenshaltung entfällt somit auf Zins- und Kapitalkosten. Der Wert ist in etwa richtig, leicht einzuprägen und vereinfacht die Berechnung der persönlichen Situation. Um nämlich die Frage zu beantworten, ob das private Geld der Banken für uns profitabel ist oder nicht, müssen wir nur die Zinskosten im Umfang von einem Drittel unserer Haushaltauslagen von den Zinseinnahmen abziehen, die wir Ende Jahr verbuchen.
Rechenbeispiel: Wenn Sie 60’000 ausgeben und ein Vermögen von 200’000 besitzen, für das Sie 2 Prozent erhalten, bezahlen Sie 20’000 versteckten und beziehen 4000 offenen Zins. Saldo: minus 16’000.
Die nächste Frage lautet:
Ab welchem Vermögen ist der Saldo positiv? Helmut Creutz hat nachgerechnet. Fazit: Nur die reichsten rund zwölf Prozent der Bevölkerung mit einem durchschnittlichen Vermögen von etwa zwei Millionen Euro verzeichnen einen positiven Zinssaldo, alle anderen zahlen mehr Zins als sie einnehmen. Dies ist die grundlegende Umverteilung von den Arbeitenden zu den Vermögenden, von arm zu reich.

Es profitieren nur die Reichsten rund 13 Prozent. Für die Studie aus Deutschland wurden die Haushalte in zehn gleich grosse Einkommenskategorien von arm bis reich eingeteilt und die Zinseinnahmen und -ausgaben saldiert. Quelle: Money – Sustainability: The Missing Link. Report from the Club of Rome, EU Chapter. 2012
Darin enthalten sind andere Umverteilungseffekte, die nicht direkt auf den Zins, sondern den Mechanismus der Kreditgeldschöpfung zurückgehen. Entscheidend dabei ist, dass neu geschöpftes Geld vor allem den Kreditwürdigen zufliesst, also denen, die schon genug haben, um es salopp auszudrücken. Wer keine Sicherheiten bietet, kann noch so tüchtig sein, er kriegt kein Geld.
Die Geldschöpfung der privaten Banken ist aus systemischen Gründen inflationär – der ständige Geldmangel muss durch wachsende Kredite laufend entschärft werden.
Die Inflation, zur Zeit an den Preisen für Immobilien und Wertpapieren deutlich abzulesen, beschert den Vermögenden einen weiteren Vorteil: Sie erhalten das neue Geld als erste und können zu den alten Preisen einkaufen.
Die private Geldschöpfung beschleunigt auch die Umverteilung von der Real- in die Finanzwirtschaft. Weil in einer endlichen Welt unendliches Wachstum nicht möglich ist, das Geldsystem aber unendliches Kreditwachstum erzwingt, fliessen rund 80 Prozent der neu geschöpften Kreditgelder direkt in die Finanzwirtschaft, wo sie für spekulative Zwecke und Umschuldungen verwendet werden. Bei den Grossbanken liegt dieser Wert deutlich höher, bei den kleinen Regional- und Genossenschaftsbanken niedriger.
Der grosse Zufluss an Mitteln lässt die Preise der Vermögenswerte steigen und ermöglicht hohe Profite. Der Schweizer Aktienindex SMI erzielte 2017 einen Jahresgewinn von 14 Prozent, weit über dem realwirtschaftlichen Wachstum. Wer die Wahl hat, investiert sein Geld in Wertpapiere und nicht in die Realwirtschaft, wo mit Schweiss und Risiko hart gearbeitet werden muss. Lohndruck und Auslagerung in Billiglohnländer sind die Folge.
Grosse Vermögen bieten schliesslich auch mehr Macht und Möglichkeiten, auf die Kurse der Wertpapiere einzuwirken, vorteilhafte politische Entscheidungen zu beeinflussen und die Gelder in Steueroasen zu verstecken. Je grösser die Vermögen, desto höher sind deshalb auch die Renditen. Während der Normalsparer unterdessen mit einem Zins nahe Null zufrieden sein muss, erzielen Milliardenvermögen regelmässig Zuwächse von über zehn Prozent, nicht nur im Boomjahr 2017.
Konzerne und Superreiche beschäftigen ein Heer von Investmentberatern und Anwälten, um ihre Vermögen vor dem Fiskus zu schützen. Die hinterzogenen Steuern fehlen dann in den öffentlichen Haushalten, wo sie zu einer Rückverteilung von oben nach unten beitragen könnten. So erstaunt es nicht, dass die Schere zwischen arm und reich jedes Jahr neue Rekordwerte erreicht.
Die Frage ist, wie lange diese Umverteilung noch weiter getrieben werden kann. Die Situation ist mit der von Pächtern eines grossen Gartens vergleichbar, die dem Besitzer einen Anteil der Ernte als Pachtzins abliefern müssen, jedes Jahr ein bisschen mehr, im Gleichschritt mit dem Vermögenswachstum des Besitzers. Den Profitdruck machen die Pächter anfangs mit Dünger und technischen Hilfsmitteln wett (Effizienzsteigerung). Dann müssen sie mehr arbeiten (Druck auf Arbeitsverträge) und schliesslich weniger essen (Armut).
An einem bestimmten Punkt kehrt der Hunger ein und die Arbeitskraft bricht zusammen oder eine Revolte lodert auf.
Man kann diese Situation auch rein ökonomisch ausdrücken: Je grösser die Vermögen, desto weniger Überschüsse stehen der Bevölkerungsmehrheit für den Konsum zur Verfügung. Die Produktion wird gedämpft und es wird schwieriger, Renditen zu erzielen, die für die Werterhaltung des Kreditgeldes essentiell sind. Und ohne Rendite reisst die Kreditkette und das Kartenhaus fällt. In der Welt des privaten Kreditgeldes beginnt alles wunderbar und endet katastrophal.
Die Umverteilung führt zu sozialer und politischer Destabilisierung. Wird Arbeit kontinuierlich ihres Ertrags beraubt, wird sie schliesslich nur noch von denen geleistet, die dazu gezwungen sind – als eine Art moderner Sklaven.
Dass wir im rechtlichen Sinne frei sind, spielt diesem Herrschaftssystem in die Hände.
Wir denken, wir seien für unseren Zustand selber verantwortlich. Aber das stimmt nur im Einzelfall. Als Kollektiv sind die Arbeitenden mit einem System konfrontiert, das sie unbemerkt und immer schneller enteignet. Schon Goethe wusste: «Niemand ist hoffnungsloser versklavt als diejenigen, die fälschlicherweise annehmen, frei zu sein.»
In welchem Stadium wir uns befinden, ist schwer zu sagen. Aber dank Thomas Pikettys umfangreichen Datenreihen gibt es empirische Antworten: Vor dem Ersten Weltkrieg lag das Verhältnis zwischen Volksvermögen und dem jährlichen Volkseinkommen in den westlichen Staaten in etwa bei eins zu sechs. Die Vermögen lagen also sechs mal höher als die Produktion eines Jahres.
Um unter diesen Verhältnissen noch angemessene Kapitalrenditen zu erzielen, musste mit dem Imperialismus und dem Kolonialismus eine aggressive Politik betrieben werden, die schliesslich zum Ersten Weltkrieg führte. Dieser hatte in Europa eine erhebliche Reduktion der Vermögen zur Folge, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg weiter sank. 1950 betrugen die Vermögen in etwa das Zweieinhalbfache des Bruttoinlandprodukts. Seit den 1980er Jahren beschleunigt sich das Wachstum der Vermögen, die gemäss Piketty jetzt wieder bei rund 400 Prozent in Deutschland, 450 in den USA, 500 Prozent in Grossbritannien und 600 Prozent in Frankreich über dem Bruttoinlandprodukt liegen, in Italien und Japan sogar noch höher. Wir sind also bereits ganz nahe an Verhältnissen, die früher nur gewaltsam korrigiert werden konnten.
Die Probleme der privaten Geldschöpfung sind zu gross für eine einzige Lösung. Die Vollgeld-Reform ist vielleicht nicht hinreichend, aber notwendig. Wenn wir den Banken weiterhin erlauben, ihr privates Geld als Schweizer Franken herauszugeben, werden die anderen Massnahmen ihre Wirkung nicht entfalten können. Dann wird das teure Geld aus dem Nichts die Gerechtigkeit aushöhlen bis wir nicht einmal mehr wissen, was der Begriff bedeutet:
Gleiche Rechte für alle, auch die Banken.
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In den USA sind die Gehälter der Konzernbosse seit dem Ende der 1970er Jahre 90mal schneller gestiegen als die ihrer durchschnittlichen Mitarbeiter.
Quelle: Economic Policy Institute
Den Regierung dieser Welt entgehen jedes Jahr Steuereinnahmen von 190 Mrd. Dollar. Das hat der Ökonom Gabriel Zucman ausgerechnet. Das ist mehr als die gesamte globale Entwicklungshilfe.
Quelle: Gabriel Zucman: The Hidden Wealth of Nations (2015)
Die meisten Studien zur Einkommensungleichheit in der Schweiz stützen sich auf Steuerdaten (z.B. Buchman und Sacchi 1995, Gorgas und Schaltegger 2014), die auf Steuereinheiten und nicht auf Haushalten basieren, was eine Interpretation schwierig macht. Zudem geben die Steuerdaten keinen Aufschluss zum verfügbaren Haushaltseinkommen.
Seit den 1990er Jahren wird für die Messung des Haushaltseinkommens deshalb vermehrt auf Befragungsdaten zurückgegriffen. Während aber Steuerdaten beinahe die ganze Schweizer Bevölkerung abdecken, beruhen Befragungen auf einer Stichprobe von einigen Tausend Haushalten. Insbesondere die sehr hohen Einkommen sind darin ungenügend abgebildet. Die wohl ausführlichste Analyse zur Verteilung der Haushaltseinkommen findet sich in der nationalen Armutsstudie von Leu et al. (1997), die eine Zunahme der Ungleichheit zwischen 1982 und 1992 zeigt (ähnlich auch bei Hischier und Zwicky 1992, Ernst et al. 2000, Zürcher 2004). Während es für die 1990er Jahre kaum Studien gibt (Ausnahme ist Ecoplan 2004), zeigen verschiedene neuere Beiträge eine relativ stabile Einkommensverteilung seit 1998 bzw. 2000 (Ecoplan 2004, Grabka und Kuhn 2012, Bundesamt für Statistik 2014 und2015a).
Quellen: http://www.socialchangeswitzerland.ch/?p=574
https://99prozent.ch/wp-content/uploads/2017/10/Argumentarium_ausführlich_99-Initiative.pdf
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