Vollgeld: Wie man mit Umfragen manipuliert
Vor kurzem machte eine dubiose Vollgeld-Umfrage einer respektablen Institution die Runde durch die Medien:
Gemäss einer Erhebung der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich KOF lehnen «77 Prozent der befragten Ökonomen … die Vorlage ab», sagte die Tagesschau des Schweizer Fernsehens vom 15. April. Die Aussage ist falsch. Fast so irreführend war schon die Medienmitteilung der KOF. Dort heisst es «Drei Viertel der Umfrageteilnehmer sprechen sich gegen die Initiative aus.»
Was ist Fakt? Befragt hatte die KOF 748 «Forschungsökonomen», also Ökonomen, die mindestens einmal in einer Fachzeitschrift publiziert hatten. Geantwortet haben allerdings nur 103. Und von diesen lehnten 79 die Vollgeld-Initiative ab.
Die richtige Feststellung hätte also gelautet: «10,65 Prozent der befragten Ökonomen lehnen die Vollgeld-Initiative ab.» Um das Resultat für die Gegner der Initiative ein bisschen besser aussehen zu lassen, hätte man auch schreiben können, drei Viertel der Ökonomen, die auf die Umfrage antworteten, lehnen die Initiative ab. Ohne Nennung der grossen Mehrheit von 86 Prozent, die auf die Umfrage nicht antworteten, wäre das aber bereits manipulativ gewesen.
Als eindeutig manipulativ muss man auch die Fragestellung bezeichnen. Die KOF, immerhin eine wissenschaftliche Institution, stellte den Ökonomen zuerst folgende Frage:
«Was ist Ihre generelle Einschätzung der ‹Vollgeld-Initiative›: Sind Sie generell für die Initiative, stehen Sie ihr neutral gegenüber oder lehnen Sie sie ab?»
Wenn man weiss, dass die Theorie der Geldschöpfung an den meisten Universitäten nicht gelehrt wird, selbst von hochrangigen Bankern nicht verstanden wird und von den meisten Medien nur verkürzt dargestellt wird, kann man auch von den Ökonomen nicht von vornherein ein eigenständiges Verständnis von wissenschaftlichem Wert erwarten, sondern eher die ungenaue Wiedergabe einer einmal gehörten Meinung.
Ich habe persönlich mit vielen Ökonomen über das Thema gesprochen und kann feststellen, dass sie zwar wissen, wie Geld eingesetzt, verbucht und verwaltet wird, aber nicht, wie es entsteht.
Die KOF hätte also etwa folgendermassen fragen müssen:
Wie beurteilen Sie die Kreditgeldschöpfung durch die privaten Banken mit einer Mindestreserve von 2,5 Prozent? Sind Sie generell dafür, stehen Sie dem Mechanismus neutral gegenüber oder lehnen Sie ihn ab?
Nächste Frage zum «Ausfallrisiko heute»
«Im heutigen System unterliegen die Giroguthaben des Publikums durch Zahlungsunfähigkeit einer Bank einem Ausfallrisiko, das in einem Vollgeld-System gebannt sein sollte. Wie hoch schätzen Sie im aktuellen System dieses Ausfallrisiko ein?» (Zur Auswahl standen fünf Meinungen zwischen «kein Risiko» und «sehr hoch»)
Die Möglichkeitsform – das Ausfallrisiko sollte in einem Vollgeld-System gebannt sein – ist eindeutig manipulativ. Im Vollgeld-System sind die Giroguthaben ausserhalb der Bankbilanz und damit vor Pleiten hundertprozentig sicher – ohne Wenn und Aber.
Eindeutig Widersprüchlich sind die Aussagen zur Stabilität. Die Mehrheit der Forschungsökonomen beurteilt das Ausfallrisiko gemäss KOF als sehr niedrig oder niedrig. Die Aussage steht im Widerspruch zum Resultat auf die letzte Frage der Erhebung zur allgemeinen Bewertung der Finanzstabilität. Immerhin die Hälfte der Umfrageteilnehmer beurteilt nämlich die gegenwärtigen regulatorischen Massnahmen zur Sicherung der Finanzstabilität als nicht hinreichend.
Eine Erklärung für den Widerspruch liefert die KOF nicht. Sie könnte genauso gut in einer Voreingenommenheit gegenüber der Vollgeld-Initiative liegen wie in einem Unverständnis der Sachlage.
Wer auf dieselbe Frage einmal mit Ja und einmal mit Nein antwortet, hat mindestens einmal nicht die Wahrheit gesagt. Und wer einmal lügt, …
Die Frage nach der «Unabhängigkeit der SNB» enthält wiederum eine eindeutige Falschinformation:
«Im vorgeschlagenen Vollgeld-System soll Geld ohne den Erwerb von Wertpapieren oder der Gewährung von gesicherten Krediten [stimmt nicht!] als Transfer an Bund/Kantone oder Bürger in Umlauf gebracht werden. Kritiker argumentieren, dass die Zuteilung von neuem Geld direkt an den Staat oder die Haushalte die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank (SNB) untergraben würde. Andere sehen darin kein Problem, da die Nationalbank selbst festlegt, wie viel Vollgeld sie in Umlauf bringt. Wie schätzen Sie die Gefahr für die Unabhängigkeit der SNB ein?»
Die Frage ist eine juristisch-politische, keine ökonomische, in der das Fachwissen von Ökonomen irgendeine Rolle spielen könnte. Sie zielt auf eine Bekräftigung des von den Vollgeld-Gegnern laufend wiederholten Vorurteils, dass eine durch das Vollgeld gestärkte Nationalbank gleichzeitig ihre Unabhängigkeit verlieren könnte – im expliziten Gegensatz zum vorgeschlagenen Verfassungstext (Art 99a, Abs. 6).
Die absolute Mehrheit der Forschungsökonomen beurteilt die Gefährdung der Unabhängigkeit der Nationalbank denn auch als hoch oder sehr hoch. Was die Ökonomen damit implizit auch sagen: Die Verfassung wird wohl gebrochen werden. Übrigens verteilt die Nationalbank jetzt schon Milliarden an die Kantone, ohne dass deswegen ihre Unabhängigkeit in Frage gestellt wird.
Wollte die Konjunkturforschungsstelle der ETH wirklich wissen, was die Ökonomen von der Geldschöpfung und der Vollgeld-Initiative halten oder ging es vielmehr darum, einen Aufhänger zu produzieren, um gegen die Vollgeld-Initiative Stimmung zu machen?
Ein Hinweis auf die Lauterkeit der KOF und ihre Unabhängigkeit liefert die Verwendung von Kampfbegriffen der Vollgeld-Gegner. Diese behaupten immer wieder, die Banken könnten im Vollgeld-System Kredite nicht mehr «mit Buchgeld finanzieren». Das klingt nach Aufwand und einer seriösen Transaktion.
In Tat und Wahrheit werden die Kredite nicht «finanziert». Der kreditierte Betrag wird vielmehr per Knopfdruck und Unterschrift auf das Konto des Kreditnehmers gebucht – aus dem Nichts, bzw. mit einer Mindestreserve von 2,5 Prozent.
Dafür den Begriff «Finanzierung» zu verwenden, ist zu 97,5 Prozent falsch. Aber genau das tut die KOF, wenn sie gegenüber den Ökonomen in der Frage nach den Kreditkosten behauptet, «in einem Vollgeld-System könnten Banken Kredite nicht mehr finanzieren, indem sie Buchgeld schaffen».
Entweder hat sich die KOF gedankenlos aus dem tendenziösen Begriffskatalog der Vollgeld-Gegner bedient oder sie hat in ihrem Auftrag gehandelt. Beides ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch eine Zweckentfremdung öffentlicher Gelder zur Verteidigung der Interessen der privaten Banken.
Besonders bedenklich ist, dass die Mainstream-Medien, die sich gerne als vierte Gewalt im Staat und als Kämpfer gegen Fake News verstehen, solche Fake Science kommentarlos durchgehen lassen.
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